Auf dem Markt für Wohnimmobilien ist eine Situation eingetreten, die sich mit dem freien Spiel der Marktkräfte nicht erklären lässt: Auf der einen Seite fallen die Preise für Wohnimmobilien so stark wie seit vielen Jahren nicht. Das spricht dafür, dass die Nachfrage weit unter dem Angebot liegt. Auf der anderen Seite ist es der Bundesregierung bisher nicht gelungen, das Angebot an Wohnimmobilien zu erhöhen.
Für den zweiten Teil dieses Problems hat die Bundesregierung diese Woche einen Versuch unternommen, dem Neubau frischen Schwung zu verleihen. Zu Beginn der Woche hatte Bundeskanzler Olaf Scholz zum Häusergipfel geladen. Im Anschluss daran hat die Bundesregierung ein Paket von 14 Maßnahmen beschlossen, die eine Verbesserung der Situation herbeiführen sollen. Auf der einen Seite werden die Förderungen erhöht: beispielsweise für Familien beim Immobilienkauf oder beim Einbau klimafreundlicher Heizungen. Die Mittel für den sozialen Wohnungsbau werden auf 18,5 Milliarden Euro erhöht und Bauprojekte vereinfacht. Auf der anderen Seite werden geplante Belastungen zurückgestellt, so etwa die Einführung des für 2025 geplanten Energiesparstandards EH40 als gesetzlich verbindlicher Standard für Neubauten oder eine Sanierungspflicht für Bestandsimmobilien.
400.000 Wohnungen will die Bundesregierung Jahr für Jahr bauen, davon 100.000 sozial geförderte. An diesem Ziel hält die Ampelkoalition fest, auch wenn es in weite Ferne rückt. Ursprünglich wollte die Regierung aus SPD, Grünen und FDP den sozialen Wohnungsbau mit einem Rekord an Fördermitteln bis zum Jahr 2026 unterstützen. Diesen Betrag sollten die Bundesländer und Kommunen in Höhe von mindestens 30 % der in Anspruch genommenen Bundesmittel ergänzen. Auch hat die Regierung die bereitgestellten Mittel erhöht, obwohl die bestehenden nicht voll abgerufen werden.
In einer Feststellung sind sich Politiker und Immobilienexperten einig: In Deutschland wird zu wenig und zu teuer gebaut. Dadurch entsteht zu wenig Wohnraum, den sich auch Mieter mit niedrigem Einkommen leisten können. Dabei wird die Lage nicht besser. Im Gegenteil, mit den höheren Leitzinsen der EZB sind die Kosten für Immobilienfinanzierungen stark gestiegen. Auch die Baukosten sind nach den Marktverwerfungen infolge von Corona und Lieferengpässen in den vergangenen Jahren kräftig in die Höhe gegangen.
Gleichzeitig ist die Nachfrage nach Wohnungen ungebrochen hoch. Obwohl die Bevölkerung aufgrund der demographischen Entwicklung schrumpft, wird dieser Rückgang bisher durch Zuzug, vor allem durch Erwerbsmigration, ausgeglichen. Im Jahr 2022 stieg die Zahl der Erwerbsmigranten um 56.000 Personen oder 19 % auf rund 351.000.[i] Die hohe Nachfrage nach Wohnraum müsste zu einer Ausweitung des Angebots führen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Viele Bauprojekte sind auf Eis gelegt worden. Dementsprechend stark ist die Baugenehmigung zurückgegangen, wie Abbildung 1 zeigt. So hat das im Dax notierte Wohnungsunternehmen Vonovia kürzlich bekanntgegeben, dass der Bau von 60.000 Wohnungen vorläufig zurückgestellt worden sei. Grund seien die hohen Baukosten und die Zurückhaltung der Investoren bei der Finanzierung neuen Wohnraums. „Meine Schätzung ist, wir brauchen 700.000 Wohnungen im Jahr, auch wegen der zunehmenden Zuwanderung“, beschrieb der Vorstandsvorsitzende von Vonovia, Rolf Buch, in einem Interview die Lage auf dem deutschen Wohnungsmarkt.
Angesichts des knappen Angebots an Wohnraum müssten die Preise für Wohnimmobilien steigen. Tatsächlich gehen sie zurück. Im zweiten Quartal 2023 sind die Preise für Wohnimmobilien um durchschnittlich 9,9 % gegenüber dem Vorjahr gefallen, wie Abbildung 2 zeigt. Dies war laut dem Statistischen Bundesamt der stärkste Rückgang seit dem Beginn der Zeitreihe im Jahr 2000.[iii] Ein Jahr zuvor, im zweiten Quartal 2022, hatten die Preise noch einen Höchststand erreicht. Doch im vierten Quartal 2022 fielen die Preise – immer im Vergleich zum Vorjahr – um durchschnittlich 3,6 % und im ersten Quartal 2023 um durchschnittlich 6,8 %.
Das Erstaunliche an dieser Entwicklung ist, dass die Preise im dünn besiedelten, ländlichen Raum am wenigsten gefallen sind und dass der Rückgang in erster Linie die Großstädte trifft: In Städten wie Berlin, München, Köln, Frankfurt, Stuttgart, Hamburg und Düsseldorf sind die Preise für Ein- und Zweifamilienhäuser im zweiten Quartal 2023 im Jahresvergleich um 12,6 % gestürzt.
Über diesen Preisrückgang müsste sich die Politik eigentlich freuen. Denn so werden Wohnimmobilien wieder erschwinglicher für Hauskäufer. Doch tatsächlich spiegeln die geringeren Kaufpreise zumindest zum Teil die zinsbedingt höheren Finanzierungskosten, sodass Käufer am Ende vom Preisrückgang entsprechend weniger oder gar nicht profitieren.
Dreh- und Angelpunkt des Marktes für Wohnimmobilien sind die regulatorischen Rahmenbedingungen. Die Ausweisung von Neubauflächen ist schwierig, da diese häufig mit den Interessen von Anrainern, Landwirten oder dem Naturschutz kollidiert. Neben den ohnehin gestiegenen Baukosten verteuern die gesetzlichen Auflagen zum Klimaschutz an Gebäuden das Bauen. All diese Anliegen mögen politisch berechtigt sein. Doch den politischen Entscheidungsträgern muss auch klar sein: Man kann nicht die Eier und das Omelett haben, wie die Franzosen sagen. All diese Maßnahmen, auch die berechtigten, greifen in das Marktgeschehen ein und beeinflussen das Angebot an Wohnraum, besonders das Angebot an preiswertemWohnraum.
Wir befinden uns in einem klassischen Zielkonflikt: Die Klimapolitik steht auf dem Wohnungsmarkt im Konflikt mit der Sozialpolitik. Aus politischen Gründen will die Ampelkoalition nicht das tun, was erforderlich wäre, um das Angebot an günstigen Mietwohnungen auszuweiten. Denn dazu müsste sie die Standards für Bauen und Klima senken. Es ist ohnehin fraglich, ob die SPD eine solche Forderung bei ihrem einen Koalitionspartner, den Grünen, durchbrächte. Dies ist ein klassischer Fall von Arbitrage, für deren Entscheidung die Politiker die Gunst der Wähler gewinnen müssen.
Von Prof. Dr. Jan Viebig, Chief Investment Officer ODDO BHF SE
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