Nach den hohen Kursverlusten in den vergangenen Tagen scheinen sich die Märkte wieder zu fangen. Doch die Furcht vor einer Trendwende bleibt.
2,4 Prozent hat der Dax innerhalb einer Woche verloren, der Euro Stoxx 50 etwas weniger, 2,2 Prozent. Der Leitindex für chinesische Aktien Hang Seng stürzte sogar um 5 Prozent innerhalb einer Woche ab. Damit liegt der Verlust schon bei 8 Prozent seit Beginn des Jahres. Die Verluste klingen noch moderat. Doch besonders die amerikanischen Aktienmärkte erlebten zu Wochenbeginn den stärksten Kursrückgang seit Mai. Richtig ist allerdings auch, dass die Anleger bisher nicht in allgemeiner Ausverkaufsstimmung sind. Sie haben sich gezielt von jenen Aktien getrennt, die sie für besonders gefährdet halten.
Eingeständnis an den Märkten?
Im Verlauf eines Börsenjahrs gibt es meistens ein oder zwei Augenblicke, an denen ein Anleger präsent sein und relativ rasch die Lage neu einschätzen muss. Das fällt vielen schwer. Einige verfallen in Panik und treffen aus Angst vor Kursverlusten übereilte Entscheidungen, die sie später unter Umständen bereuen. Andere wiederum beharren zu lange auf ihrer festgelegten Strategie und weigern sich, die Lage neu zu bewerten. Sie haben vielleicht schon höhere Kursgewinne fest eingeplant und wollen sich nicht eingestehen, dass der Aufwärtstrend gebrochen ist.
Ein solch entscheidender Augenblick ist derzeit an den Märkten zu beobachten. Dabei ist noch völlig ungewiss, ob die Anleger gerade eine Wende in einem ungewöhnlich langen Aufwärtstrend erleben oder ob es sich um einen heilsamen Warnschuss handelt, der übermütig gewordene Anleger auf den Boden zurückbringt.
Die Warnsignale haben sich in den vergangenen Wochen gemehrt. In der Folge der Corona-Pandemie haben die großzügigen Staatshilfen an Unternehmen und Privathaushalte für einen Anstieg der Inflationsraten gesorgt. In der amerikanischen Notenbank Fed denken die Geldpolitiker seit Wochen darüber nach, wann und wie konsequent sie von der Politik des allzu lockeren Geldes abrücken sollten.
Das Reich der Mitte im Mittelpunkt
Vor allem jedoch wird China als Ursprung der aktuellen Turbulenzen verortet. Zunächst nahm die chinesische Regierung die Tech-Unternehmen stärker unter ihre Kontrolle, dann auch Immobilienentwickler und andere private Unternehmen. Kurz darauf geriet der Immobilienentwickler China Evergrande in eine existenzbedrohende Krise, nachdem er seine Expansion großzügig mit Krediten und Anleihen finanziert hatte.
Am Mittwoch immerhin sorgte die Nachricht für Erleichterung, dass der strauchelnde Konzern eine Vereinbarung mit seinen chinesischen Gläubigern erzielte. Diese betraf die Zahlung von Zinsen für eine Anleihe mit Fälligkeit schon einen Tag später, am Donnerstag. Immerhin werden dadurch 39,5 Millionen Dollar Zinsen pünktlich bezahlt. Was mit der Zinszahlung für eine Auslandsanleihe wird, blieb zunächst unklar.
Lange hieß es, Immobilien stellten einen soliden Schutz gegen ein Absturz der Finanzmärkte dar. Diese Zeiten sind vorbei. Schon die Finanzkrise 2008 hatte ihren Ursprung an den Immobilienmärkten. Auch dieses Mal kommt die Furcht auf, dass die Überschuldung von Chinas Evergrande kein Einzelfall ist und andere Immobilienunternehmen in Ostasien abstürzen könnten.
Allgemeine Unsicherheit bleibt
Vielen Marktteilnehmern ist der lange Aufschwung an den internationalen Finanzmärkten ohnehin unheimlich geworden. So haben die Analysten großer Häuser wie Deutsche Bank, Citigroup und Bank of America zuletzt Studien veröffentlicht, in denen sie eindringlich vor den Risiken an den amerikanischen Aktienmärkten warnten. Noch deutlicher wurden am Montag die Analysten von Morgan Stanley: Sie halten gar einen Sturz des Index S&P 500 um mehr als 20 Prozent für möglich.
Die Märkte werden somit anfällig für heftige Kursausschläge bleiben. „Wenn Sie die Kombination von Sorgen wie heute haben – Deleveraging, Evergrande, den Internetsektor –, dann erhalten Sie höhere Volatilität“, meint laut dem „Wall Street Journal“ Frank Benzimra, Leiter der Aktienstrategie Asien bei Société Générale.