Notenbankpräsidentin Lagarde hat sich mehr Spielraum verschafft, die Zinsen noch lange niedrig zu halten. Wie lange das sein wird, ließ sie offen. Experten rechnen mit einer Fortdauer bis mindestens 2023.

Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) soll noch für längere Zeit extrem locker bleiben. Dies verkündete Notenbankchefin Christine Lagarde bei ihrer turnusmäßigen Pressekonferenz zur Geldpolitik. Auch nach der akuten Krisenphase werde die EZB die Wirtschaft der Eurozone stützen. Kurz zuvor hatte der Rat der EZB entschieden, den Leitzins bei null Prozent zu belassen.

Offensichtlich ist, dass von Inflation für die EZB derzeit kein Schrecken ausgeht. Man werde den Anstieg der Verbraucherpreise über das anvisierte Ziel von zwei Prozent hinaus für längere Zeit tolerieren, sagte die Präsidentin – wie lange das sein wird, ließ sie offen.

Alexander Krüger, Chefvolkswirt beim Bankhaus Lampe, rechnet damit, dass die Zeit der Ultratiefzinsen noch länger anhalten wird. An eine Leitzinswende ist nicht nur noch lange nicht zu denken, sie ist zeitlich sogar noch gestreckt worden.

Lagarde erhöht also ihren Spielraum, die Zinsen noch lange niedrig zu halten und ihr Anleihekaufprogramm fortzuführen. Das dürfte insbesondere in Deutschland für Kritik sorgen. Hier fällt die Teuerung wegen des Aufschwungs höher aus als im Durchschnitt der Eurozone; zudem sind die Deutschen besonders sensibel, was das Thema Inflation angeht. Tatsächlich sind die niedrigen Zinsen Gift für Sparbücher, die die Bundesbürger so lieben; andererseits sorgt die Geldpolitik der EZB dafür, dass sich Unternehmen günstig Geld leihen können, um zu wachsen und Jobs zu schaffen. Und den Finanzministern der Eurozone erleichtert die Notenbank, Wachstumsprogramme aufzulegen und dem Wahlvolk teure Geschenke zu machen.

Lagarde sieht höhere Unsicherheit durch Delta-Variante

Aufhorchen ließen vor allem Lagardes Anmerkungen im Zusammenhang mit der Pandemie. Die Ausbreitung der Delta-Variante sei zunehmend eine Quelle der Unsicherheit, sagte die Französin. Und sie fügte an: Es wird noch einige Zeit dauern, bis die negativen Folgen der Pandemie beseitigt sein werden. Wann das der Fall sein wird und die Pandemie ihren Schrecken verliert, konnte Lagarde freilich nicht sagen. Im geldpolitischen Rat sitzen vor allem Ökonomen und auch Anwälte, keine Virologen, sagte sie. Damit ist klar, dass die EZB vorerst nicht ihre Anleihekäufe zurückfahren wird, mit denen sie die Zinsen in der Eurozone auch niedrig hält.